Interview mit Heiner Oberrauch
Erschienen in der Bergwelten-Onlineausgabe vom 24.03.2020
Die familiengeführte Oberalp Group aus Südtirol, Mutterunternehmen von Salewa und Dynafit, produziert jetzt medizinische Schutzmäntel und organisiert in Millionenhöhe medizinische Ausrüstung aus China. Ein Gespräch mit Präsident Heiner Oberrauch über schnelles Handeln in Krisenzeiten, staatsübergreifende Partnerschaften – und den Glaube an eine Zeitenwende.
Über die medizinische Versorgungslage in Italien müssen wir keine Worte mehr verlieren. Über die Flexibilität und den Einsatz von Helfern hingegen schon. In diesen schwierigen Zeiten ist so viel Engagement zu verzeichnen, das uns alle inspirieren und positiv stimmen kann. So auch von der familiengeführten Oberalp Group, dem Südtiroler Unternehmen, zu dem u.a. die Bergsportmarken Salewa, Dynafit und Evolv gehören.
Seit über einer Woche wird am Oberalp-Standort in Montebelluna medizinische Schutzausrüstung produziert. 50.000 Mundschutzmasken und 800 wasserabweisende Schutzmäntel konnten so in der ersten Woche ausgeliefert werden. Dazu nutzte Präsident Heiner Oberrauch auch seine Kontakte nach China und organisierte 20 Millionen medizinische Schutzmasken und 600.000 Schutzausrüstungen, die via eines Sondertransports nach Wien eingeflogen wurden. Wir baten ihn zum Interview.
Bergwelten: Herr Oberrauch, wie kam die Produktion der Schutzausrüstung zustande?
Heiner Oberrauch: Der Südtiroler Landeshauptmann rief mich an und bat um Hilfe. Wir haben gemeinsam mit weiteren Südtiroler Betrieben einen Krisenstab gegründet und überlegt, was wir tun könnten. Wir haben dann schnellstmöglich unsere Nähbetriebe in Montebelluna umgestellt. Und so wurden statt Goretex-Jacken waschbare Schutzmasken und Schutzmäntel produziert.
Und parallel haben Sie ihr Netzwerk in China aktiviert?
Ja, unser Lizenznehmer in China, also unser Partner, der dort die Salewa Stores betreibt, hat uns bereits vor Wochen aus Eigeninitiative Schutzmasken geschickt, als er hörte, wie die Entwicklung in Italien voranschritt. Wir wussten also, dass er Zugang hat. So haben wir im Namen der Landesregierung vier verschiedene Produktionsstätten mit der Produktion beauftragt. Wir haben 10 Millionen Euro überwiesen – mehr oder weniger blind. Das war schon ein kleines Risiko und ich war froh, als die Ware dann vor Ort war. Bestellt haben wir für die Sanität Südtirol zwei verschiedene Typen von Masken: einfache chirurgische Masken und eine Version mit Filter. Dazu Schutzausrüstung.
Es klingt, als hätten Sie inzwischen an medizinischer Expertise gewonnen?
Oh, wir lernen tagtäglich sehr viel dazu, vor allem unser CEO Dr. Christoph Engl. Er schläft derzeit sehr wenig. Das geht von medizinischen Themen bis zu Landegenehmigung für die Flugzeuge, um den Polizeischutz für die Ware, Zoll und die komplette Logistik. Wir haben Lager ausgeräumt, Sondererlaubnisse organisiert und vieles mehr – und das musste alles parallel passieren.
Die Lieferung aus China ging unglaublich schnell. Wie kam das zustande?
Über die Südtiroler Landesregierung haben wir mit dem österreichischen Kanzler Kurz telefoniert und er hat sofort reagiert. So sind Austrian Airlines-Personenmaschinen nach China geflogen und haben die erste Ware nach Wien geholt. Neben dem Transportraum wurden auch alle Sitze genutzt und voll bestückt. Die erste Lieferung verteilen wir nun auch als externer Logistikprovider. Es geht auch ein Teil nach Nordtirol und in die Lombardei.
Braucht es private Unternehmen, um die Organisation voranzutreiben?
Ja, sicherlich. Aber ich muss auch sagen, dass die Zusammenarbeit auch staatsübergreifend enorm gut lief und läuft. Die Solidarität der Gemeinschaft ist ein enormer Motivations- und Adrenalinfaktor. Wir sind müde, aber es erfüllt uns mit viel Freude, dass wir einen Beitrag leisten können. Unsere Mitarbeiter sind hochmotiviert und sind ohne Gegenfrage da und sagen: Das machen wir.
Aber sie werden sich auch um die Zukunft sorgen machen. Am Montag, 23. März, wurde verkündet, dass in Italien die Produktion jeglicher nicht lebenswichtiger Güter eingestellt werden muss.
Und das haben wir nun auch gemacht. Es läuft nur noch die Produktion der Schutzausrüstung. Natürlich wird es große Verluste geben. Aber wir sind ein Unternehmen mit breiten Schultern, hochmotivierten Mitarbeitern und einer guten Organisation. Das Unternehmen ist nicht gefährdet. Ich habe einige Krisen durchlebt und wir sind bisher immer gestärkt daraus herausgegangen.
Was sind Ihre Hoffnungen für die aktuelle, wohl größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg?
Es wird viele Tragödien geben, keine Frage. Aber seit dem 2. Weltkrieg kennen wir nur wirtschaftliches Wachstum, nun muss eine Zeitenwende her. Werte müssen sich verschieben. Wir werden mehr auf lokales Wirtschaften achten müssen. Der Reichtum muss umverteilt werden. Wir müssen davon abrücken, das Arbeiten zu besteuern – wir müssen Wege finden, den Reichtum zu besteuern. Die Welttransporte müssen teurer werden, das ist das beste Regulativ und das sind wir unseren Enkeln schuldig. Und der Konsument ist das demokratische System. Der Kunde entscheidet, was er kauft. Und so gilt es eben auch, darauf zu achten, wie und wo etwas hergestellt wird. Dieses Ereignis wird uns noch mehr zum Nachdenken anregen. Es wird spannend. Ich hoffe, ein größerer Teil der Menschen wird umschalten und bewusster denken – und die Politik mit der Gesellschaft.
Vielen Dank für das Gespräch!